Heather Ward öffnet mit „Gilded & Silver“ ein musikalisches Tagebuch voller Erinnerungen, Eleganz und Intimität. Dieses beginnt nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem Innehalten. Mit einem leisen Hineingleiten in Klangräume, die viel mehr sagen, als Worte es könnten. Heather Ward tritt auf „Gilded & Silver“ nicht als Diva auf, sondern als Geschichtenerzählerin mit Jazz im Blut, großer Disziplin im Handwerk und einem tiefen Gespür für das, was zwischen den Tönen liegt. Ihr zweites Soloalbum ist kein Versuch, sich zu beweisen – es ist ein Angebot, zuzuhören. Es ist ein Blick zurück, ein Dank an Lehrer, Vorbilder, verstorbene Wegbegleiter – aber ebenso eine musikalische Standortbestimmung im Hier und Jetzt.
Mit beeindruckender Souveränität führt Heather Ward durch ein Programm, das zwischen Eigenkompositionen, sorgfältig ausgewählten Covern und feinfühlig arrangierten Jazz-Interpretationen changiert. Dabei trifft sie stets den feinen Grat zwischen künstlerischer Freiheit und stilistischer Demut. Es geht ihr nicht darum, Bekanntes zu reproduzieren, sondern darum, die Substanz eines Songs freizulegen – sei es ein Beatles-Klassiker, ein Musical-Standard oder ein selbst geschriebenes Stück. „Gilded & Silver“ ist kein Sampler, sondern eine geschlossene Welt. Eine Welt aus Erfahrung, Respekt, Können – und einer Stimme, die weiß, wann sie führen und wann sie zurücktreten muss.
„Into the Music“ als musikalische Signatur und Herzensangelegenheit
Der Einstieg mit „Into the Music“ ist bewusst gewählt. Es ist ein Lied, das in mehrfacher Hinsicht biografisches Gewicht trägt: Es wurde geschrieben im Gedenken an Heather Wards Jazz-Mentor Hugh Fraser und ihren Onkel Joe Edmonds, die beide während der Pandemie verstorben sind. Fraser habe oft gesagt: „I’m just so into the music“ – und genau das strahlt dieser Song aus. Was Ward hier leistet, ist mehr als ein Tribut: Es ist ein fühlbares musikalisches Erleben, bei dem jede Nuance zählt. Ihre Stimme ist dabei das Zentrum – warm, durchlässig, getragen von einer Ruhe, die weder ermüdet noch distanziert. Die instrumentale Begleitung bleibt dabei stets im Hintergrund und hebt sie, ohne sich aufzudrängen.
Schon hier zeigt sich, was das gesamte Album prägt: eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Zurücknahme. Heather Ward muss nichts beweisen – sie besitzt jene seltene Qualität, die das Persönliche nicht ins Private kippen lässt, sondern es in eine Form bringt, die universell verständlich bleibt.
Jazz als Sprache der Erinnerung und der Neudeutung
Mit „Towers“ führt Heather Ward diesen Ansatz fort, wenngleich in deutlich reduzierter Struktur. Es ist ein nach innen gekehrtes Stück, beinahe meditativ, in dem das Schweigen ebenso Bedeutung hat wie der Ton. Die Ruhe, die der Song ausstrahlt, ist nicht spannungsfrei – im Gegenteil: Sie ist aufgeladen mit Erinnerung, Sehnsucht und vielleicht auch einem Hauch Resignation.
Dann kommt „Dear Prudence“. Eine mutige Wahl, denn Coverversionen der Beatles sind ein vermintes Terrain. Doch Heather Ward meistert diese Herausforderung mit Eleganz. Statt sich an der psychedelischen Vorlage abzuarbeiten, verwandelt sie den Song in eine sanft swingende Ballade. Sie nimmt ihm das Überladene, das Experimentelle – und gibt ihm etwas Bodenständiges, Echtes, fast Kammermusikalisches. Die instrumentale Zurückhaltung – Piano, Bass, dezent eingesetzte Schlagzeugakzente – lässt dem Gesang Raum zum Atmen. Und dann, gegen Ende, ein verspielter Break, eine augenzwinkernde Reminiszenz an das Original – charmant, nicht kalkuliert.
Kompositorische Tiefe und stilsichere Kontraste
Mit „Blue Collar“ schlägt Heather Ward ein anderes Kapitel auf: kraftvoller, mit erdigem Groove und dichter Textur. Es ist der vielleicht direkteste Song des Albums – nicht rau im Ton, aber klar im Ausdruck. Hier wird deutlich, dass Ward nicht nur die leisen Zwischentöne beherrscht, sondern auch mit rhythmischer Energie und struktureller Dichte arbeiten kann, ohne an Feinheit zu verlieren.
„Light Up My Room“ hingegen zeigt Ward wieder in ihrer intimsten Form – beinahe wie in einer nächtlichen Jazz-Session unter Freunden. Ihre Stimme wird hier zum inneren Monolog, der sich dem Publikum nur zögerlich öffnet. Gerade dieser kontrollierte Minimalismus verleiht dem Song seine Tiefe. Jede Pause, jedes Einatmen wird zur Aussage.
Große Wirkung entfaltet auch „My World is Beginning Today“. Dieses Stück balanciert auf faszinierende Weise zwischen Theater, Chanson und Jazz. Es erinnert an die feinsinnige Lyrik von Blossom Dearie oder die Eleganz einer Dinah Washington, ohne je in Nostalgie zu verfallen. Ward singt mit einer Genauigkeit, die nie pedantisch, sondern stets empathisch bleibt.
Ein Kaleidoskop aus Spielfreude, Hommage und Erneuerung
In „A Million Miles Away“ verdichtet sich das bisher Erlebte zu einer Art Rückblick – musikalisch reich, emotional tief und gesanglich vollkommen im Fluss. Dann folgt mit „He’s A Tramp“ ein erfrischender Kontrapunkt: verspielt, kokett, mit einer leichten Ironie, die das ernste Gewicht der vorhergehenden Songs gekonnt auflockert. Das Arrangement ist klassisch – Walking Bass, swingende Drums, kleine Bläsereinwürfe – und doch klingt alles frisch, unangestrengt.
Das vielleicht virtuoseste Stück des Albums ist „My Favorite Things a la Trane“. Hier verschmilzt Jazzgeschichte mit eigener Handschrift. Heather Ward nimmt die bekannten Motive und setzt sie einem improvisatorischen Strom aus, der mal spielerisch, mal eruptiv, mal träumerisch anmutet – immer jedoch unter vollständiger stilistischer Kontrolle. Es ist eine Hommage an John Coltrane, ohne in bloße Nachahmung zu verfallen. Man spürt förmlich den Spaß, den das Ensemble beim Spielen hatte – und der überträgt sich unmittelbar.
Ein leiser Ausklang mit Nachhall
„Midnight at the Oasis“ und „Mercy Street“ führen die Hörer:innen in die letzte Phase des Albums. Beide Stücke sind getragen von einer tiefen inneren Ruhe. Besonders „Mercy Street“ – ein Peter-Gabriel-Cover – wird bei Heather Ward zu einer eindringlichen, fast spirituellen Reflexion. Ihre Stimme klingt hier geerdet, verletzlich, aber zugleich voller Würde.
Der Abschluss mit „I Can’t Give You Anything but Love“ bringt noch einmal alle Qualitäten von Heather Ward zusammen: klassischer Jazz, zeitlos interpretiert, mit Herz, Intelligenz und Klarheit. Es ist ein Abschiedsgruß, der bleibt – warm, elegant, offen.
Unsere Wertung:
➤ Musikalische Fähigkeit: 10 von 10 Punkten
➤ Komposition: 9 von 10 Punkten
➤ Produktion: 10 von 10 Punkten
➤ Songwriting: 10 von 10 Punkten
➤Gesamtwertung: 9,75 von 10 Punkten
Unser Fazit:
„Gilded & Silver“ ist ein außergewöhnlich stimmiges, fein gewebtes Album, das Jazz nicht als Stilmittel, sondern als Haltung versteht. Heather Ward gelingt es, mit beeindruckender künstlerischer Selbstverständlichkeit sowohl zu reflektieren als auch zu erneuern. Ihre musikalischen und kompositorischen Fähigkeiten verbinden sich hier mit einem erzählerischen Blick, der Persönliches universell macht. In einer Welt, die oft zu laut ist, setzt „Gilded & Silver“ ein Zeichen: für Achtsamkeit, für Formbewusstsein, für musikalische Integrität. Es ist ein Album, das nachklingt – nicht nur im Ohr, sondern im Herzen.
Mehr zu Heather Ward im Netz:
Heather Ward – Die offizielle Webseite:
https://www.heatherwardstudios.com/
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https://open.spotify.com/artist/5HIMEIXIinvDq4SayktZAr